Der höchste und tiefste Punkt der Tour

Gestern Abend meinte der Almwirt, dass ein Verlassen der Alm am Vormittag eine schlechte Idee sein könnte. Es seien Gewitter angesagt. Und wie man ja weiß: Gewitter, Berge und Wandern passen nicht gut zusammen. Blöd, dass ich mein Hotel für die Folgenacht schon gebucht und bezahlt hatte – aber wäre dann eben so.

Als ich um 6h aufgestanden bin, regnete es „nur“. Das Wetter selbst abfragen ging nicht – wie habe ich früher nur ohne Internet überlebt? Aber damals habe ich auch solche Touren nicht gemacht.

Also Sachen gepackt und dem Alm-Öhi-ihm-seine-Frau nach dem aktuellen Stand gefragt. Gewitter gäbe es keine, dafür sehr dichten Nebel – und natürlich den Regen. Auf meine Frage, ob ich die Passage über den Berg wagen könne oder lieber zurück ins Tal solle, kam die hilfreiche Antwort „bei Nebel siehste halt nicht, wenn Du abstürzt“.

Sie hat mir dann mehrfach glaubhaft versichert, dass dies ein Witz war. Man würde den Pfad aber auch bei dichtestem Nebel finden. Nur würde es bei dem Regen eben so gar keinen Spaß machen und man solle langsam gehen wegen „alles naß und rutschig“.

Also wurde ich eben zum Pfadsucher und -finder. Hat auch gut geklappt und wie angekündigt keinen Spaß gemacht. Es war sicherlich an einigen ausgesetzten Stellen gar nicht so schlecht, dass Nebel war. Nach unten schauen ging so nicht.

Auf rund 2 km Strecke waren um die 300 hm zu beklettern und „schon“ stand ich auf dem Lafatscher Joch mit 2.080m (gut, vielleicht 5m drunter und 20m daneben, weil die Extrameter bei null Sicht eben null gebracht hätten) und konnte mich auf den langen Abstieg ins Inntal Richtung Innsbruck (bzw. Wattens, ein Nachbarort) machen.

Ging es aufwärts nur über Geröll und Fels, waren auf dem Weg abwärts noch zusätzlich Baumwurzeln eingebaut. Steine und Baumwurzeln im nassen Zustand geben nicht unbedingt Trittsicherheit. An einer ausgesetzten Stelle habe ich eine gefühlte Ewigkeit gebraucht, bis Füße und Kopf Einigkeit über Standsicherheit und den nächsten Schritt erzielt hatten. Gut, dass mich niemand beobachtet hat.

Richtung Innsbruck ging es dann in einen Forstweg über, der leicht zu gehen war, und der Regen hörte auf. Zum Ende begleitete mich rund eine halbe Stunde ein Einheimischer mit seinem Hund und hat die ganze Zeit erzählt, nachdem er kurz gefragt hatte wo ich her komme und wo ich hin will. Blöd nur, dass ich bei seinem Dialekt nur ca. jedes 10. Wort verstehen konnte. Ab und zu ein „ja“ oder „hhm“ und er redete weiter. Es reichte aber aus um sicher zu sein, dass ich nichts gekauft hatte oder ungewollte Versprechungen gemacht habe. Und er hat sich gefreut, dass er mal jemand zum Reden gefunden hat, der ihn wirklich versteht.

Am Ziel in Wattens endlich mal wieder ein Hotelzimmer und eine lange, ausgiebige warme und kalte Dusche mit x-fachem Einshamponieren, um den Schweiß und Dreck vom Körper zu bekommen (auf der Hütte kosten 3 Minuten bis zu 3.50€ – ein Kinobesuch ist dagegen ein Schnapper).

Trotz des Regens war es heute fast die schönste Etappe vom Berg 1.812 hm abwärts (die ausgesetzten Stellen und ein paar steile Passagen ausgenommen). Tolle Natur und wilde Tiere gesehen. Vom kleinen Salamander über Hirsche (Grüße ins Nordlicht) – bis hin zum Steinbock. Tolle Pfade durch Wiesen und (ohne den Nebel wahrscheinlich) beeindruckende Panoramen. Wäre ich nur nicht beim wirklich langsamen Aufstieg wieder pitschnass gewesen – nicht vom Regen. Es waren vielleicht 10 Grad, ich in kurzer Hose und T-Shirt und alles tropfte vor Schweiß.

An dieser Stelle der heutigen Etappe ist nun der Beschluss gereift, die Tour hier zu beenden. Es wird auf fast 3.000 Metern in den Dolomiten nicht besser werden. Ich habe inzwischen Widerwillen jeden Tag klitschnass durch die Berge zu gehen und hauptsächlich Pausen zu machen, um nicht mehr zu tropfen. Die Klamotten und der ganze Rucksack müffeln inzwischen so, dass ich mich ab und zu selbst nicht mehr riechen mag. Das bekomme ich ohne Waschen (auf den Hütten kann man die Sachen nur kalt abspülen, Handwaschmittel ist nicht erlaubt) auch nicht in den Griff.

Die kleinen Blessuren wären kein echter Grund. Die Blase tut seltener weh, das wäre in den Griff zu bekommen. Das Knie tat heute morgen nicht mehr weh, meldete sich aber zum Ende der heutigen Tour wieder. Es bräuchte also ein paar Tage Ruhe. Würde ich aber auch mit etwas Voltaren probieren. Der Rücken hat sich sowieso inzwischen mit seinem Schicksal abgefunden und murrt nicht mehr.

Sprich, ich würde die Tour unheimlich gerne weitermachen und bin frustriert, welche Eindrücke ich verpasse und dass ich Venedig stornieren muss. Alternativrouten mit weniger Höhenmetern habe ich mir auch angeschaut, aber die sind nicht schön und haben naturgemäß trotzdem einiges an Höhenmetern. Wandern neben der Brennerautobahn ist irgendwie keine Alternative.

Die Fitness ist ausreichend, der Wunsch weiter zu machen ist eigentlich noch da und Schweinehund meckert nicht mehr. Wahrscheinlich hat er sich mit der internen Klimaanlage abgesprochen und nun doch gewonnen.

Morgen werde ich mal wieder etwas länger schlafen, nett frühstücken und dann noch einen Tag Innsbruck gönnen (hatte ich erwähnt, dass ich eigentlich nur die Strecke München-Innsbruck schaffen wollte?) und dann zurück nach Hause fahren. Bei der Zugfahrt werde ich sinnieren, was ich mit dem Rest der eingeplanten Zeit anstelle. Die vielen Radfahrer haben es mir irgendwie angetan…

So sind es „nur“ 182.5 km in 7 Tagen mit fast 56h Gehzeit, etwas über 5.000 hm aufwärts, dem höchsten Punkt mit fast 2.080 Meter und rund 19.000 verbrauchten Kalorien geworden – sagt Garmin.

Danke fürs Folgen und die vielen lieben Kommentare und Nachrichten bis hier ❤️, vielleicht gibt’s ja bald eine weitere Staffel

Etappe 07:
Hallerangeralm – Wattens

20,4 km (Gesamt 182,5 km)
625 hm (Gesamt 5.146 hm)
6:55h (Gesamt 55:38h)

Stefan

11 Gedanken zu „Der höchste und tiefste Punkt der Tour

  1. Prima gemacht!
    Ich persönlich finde ja runter immer schlimmer als rauf, nur ist man dem Ziel dann irgendwie näher.
    Und ich wusste gar nicht, dass du auch wanderst, ich dachte immer, du würdest das Fahrrad vorziehen?
    Ich bin dann schon mal gespannt auf deinen nächsten Trip!
    Grüße aus Stuttgart, Peter

  2. Kann Dich voll und ganz verstehen. Respekt für Deine Entscheidung. Freue mich auf unser Wiedersehen

  3. Hey Stefan, du hast so was Tolles geleistet! Sei nicht so enttäuscht, dass du es nicht bis Venedig schaffst. Deine Reiseberichte waren wieder mal fesselnd, solltest du mal ein Buch schreiben, einen Käufer hast du schon. Komm gut nach Hause und liebe Grüße!
    Vanessa

    1. Ich danke Dir. Wenn es ein Buch würde, müsstest Du es ja auch kaufen – ihr seid ja indirekt im letzten Kapitel erwähnt 😂 (mehr Konjunktiv in einem Satz geht nicht, oder?)

  4. Es is ja so wie es is… Was ich mit der restlichen Zeit anfangen würde weiß ich ziemlich genau – auf jeden Fall nicht nach Hause fahren. 🙂
    Aber vielleicht reicht es dir ja auch erstmal mit den Bergen. Auf jeden Fall viel Spaß in Innsbruck. Ich war schon unzählige Male dort, aber fast immer nur auf der Durchreise. Zweimal sogar auf einem Friedhof, aber das ist eine andere Geschichte.

  5. Mein lieber Stefan, auch wenn ich es total nachvollziehen kann und wie auch schon kommentiert wurde, ich ebenfalls den Hut vor Deiner Endscheidung ziehe, werden mir Deine Berichte fehlen:-). Ich schließe mich Vanessa an und würde dann auch ein Buch nehmen:-))).
    Erhol Dich gut, das hast Du Dir verdient. Es ist großartig, was Du geleistet hast! Sei Stolz!

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