Boah, eh…

So schlimm hatte ich es mir nicht ansatzweise vorgestellt. Nicht nur die Länge des Tages, die extreme Kälte, sondern vor allem die körperliche Belastung. Nicht nur meine Meinung, sondern auch von den anderen Teilnehmern habe ich diesen Satz heute am meisten gehört: „so etwas Anstrengendes habe ich im Leben noch nicht gemacht“.

Gestern Abend um 23:30 Uhr ging es los. Nach dem Abendessen hätten wir die Möglichkeit gehabt, noch etwas zu schlafen – hat aber kaum jemand geschafft vor Aufregung. Schon das war die erste Herausforderung – das Camp lag so hoch und es war so kalt, dass das Zelt von innen vereist war. Die inneren Kleidungsstücke waren mit im Schlafsack, damit sie nicht so kalt waren, aber alles passte eben nicht rein. Nach dem letzten medizinischen Check im durchgekühlten Essenszelt hat sich die Gruppe dann auf den Weg gemacht.

Eigentlich eine kurze Strecke mit rund 5 km, die Gehzeit war nach Beschilderung mit 7h angegeben (6h haben wir benötigt). Aber über 1.300 Höhenmeter waren zu bewältigen. Und nicht über alpine, gut ausgeschilderte Wanderwege, sondern durch Steinwüsten und Freiflächen von Lavasand. Das Wetter war zumindest ohne Regen und Schnee, dafür aber ein extrem heftiger Wind, der durch alle 5 Kleidungsschichten durchkam (Thermounterwäsche, Shirt, Sweater, Daunenjacke und arktische Jacke). Dauernd kalte Hände und Füße. Die Guides hatten heiße Getränke dabei. Wie die es geschafft haben, ohne Handschuhe einzuschänken und uns die Sachen in die dicken Handschuhe zu drücken und alles hinterher wieder einzusammeln, konnte sich im Nachhinein keiner aus der Gruppe erklären. Am Gipfel war es noch schlimmer, nach den Einzelfotos und 2-3 Umgebungsfotos wurde das Handy schnell wieder eingepackt.

Inzwischen ist mir auch klar, warum jeder Teilnehmer einen eigenen Guide hatte. Schon ziemlich am Anfang wurde die Gruppe zweigeteilt. In Richtung Gipfel wurde auch das Feld meiner Gruppe immer mehr auseinander gerissen. Die Guides haben von immer mehr Teilnehmern die Rücksäcke getragen. Ab ungefähr der Hälfte wurde ich gefragt, bei ca. ⅔ der Stecke wurde er mir einfach weggenommen. Und sie sind immer individueller auf die Bedürfnisse ihres Teilnehmers eingegangen (Pausen, Geschwindigkeit, warme Getränke,…)

Die körperliche Anstrengung ist einfach unvorstellbar. Man bewegt sich quasi in Zeitlupe und fühlt sich, als ob man bereits nach wenigen Metern an einem 400-Meter-Spurt teilgenommen hat. Das letzte Stück zum Gipfel klappt nur noch, weil man es unbedingt schaffen will – Kraft ist keine mehr da, absolut gar keine! Dagegen ist ein 100km-Marsch oder ein Marathon wirklich ein Spaziergang.

Die Höhenkrankheit hat mich bis zum Gipfel kaum erwischt. Ab und zu mal leichte Kopfschmerzen, die aber ganz schnell wieder weggingen. Nach dem Gipfelfoto war es dann plötzlich um so heftiger soweit: starker Kopfschmerz und Übelkeit – wenigstens ohne Erbrechen. Hieß für mich: schnell absteigen, was ich bei der Kälte aber eh wollte. Was einem in dem Moment nicht klar ist: Kraft ist keine mehr da – und die braucht man auch für den Abstieg. Zumal es nicht durchgehend in eine Richtung geht, sondern auch noch einmal kurz hoch zum davor liegendem Gipfel, dem „Stella Point“. Runter zum Camp dauerte der Weg dann rund 2h – es waren wohl doch noch Kraftreserven da.

Die Übelkeit ging schon beim Abstieg wieder weg, die Kopfschmerzen dauerten etwas länger an. Heute Nachmittag, nachdem alle wieder unten waren, sind wir dann noch zwei Stunden „hochmotiviert“ in ein tieferlieges Camp gewandert. Durch den Aufstieg in der ersten Gruppe und dem schnellen Abstieg hatte ich Glück, und konnte nach dem Abstieg noch ein paar Stunden schlafen. Morgen folgt dann noch eine 6h-Wanderung zum Gate, wo uns der Bus abholt und ins Hotel bringt. Ich habe mich noch nie – zumindest kann ich mich nicht erinnern – auf eine Dusche, ein warmes Zimmer und Zivilisation gefreut.

Der Tag lässt sich schwer in Worte fassen und die Verarbeitung braucht sicherlich noch einige Zeit. Eine beeindruckende Natur in einer bisher so noch nie erlebten Höhe (zwischendurch waren Städte zu sehen, wie man sie sonst nur aus einem Flugzeug wahrnimmt). Ein interessantes neues Land kennengelernt. Das Erlebnis, was die dünne Luft für den Körper bedeutet. Dass man da einfach nicht gegen ankommt und ich somit eine Grenze des Körpers erlebt habe, die so nur wenige erleben. Und man trotzdem immer noch Reserven im Körper motivieren kann – in einer so intensiven Häufigkeit habe ich selten ans Aufgeben gedacht, sei es bei der Kälte, dem Klettern oder dann eben der Gipfelnacht.

Stefan

8 Gedanken zu „Boah, eh…

  1. Hi Stefan,
    Toll, klasse, bravo!!!
    Klingt aber wirklich sehr anstrengend und auch die Gesundheit an Grenzen führend. Deshalb mein Tipp: beim nächsten Mal nehme einfach den Mount Kinabalu auf Borneo. Der ist nur etwa 4000m hoch (also grob 1900m weniger) und der Aufstieg ist deutlich weniger beschwerlich. Und der Blick am Morgen ist sehr ähnlich 😉

  2. Hallo Stefan,

    meinen allergrößten Respekt und Glückwunsch zur Gipfelbesteigung. Tolle Leistung.

  3. Das war ja wirklich ein besonderes Abenteuer mit Happy End, da bin ich mal gespannt was Du Dir da als nächstes vornimmst 😁
    Ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen wo Du mir dann noch viele weitere Details berichten kannst.

  4. Stefan, schreib bitte ein Buch über deine vergangen Erlebnisse und die zukünftigen. Du hast einen wunderschönen Schreibstift. Die ganze Familie freut sich über deine Berichte, wenn ich die abends vorlese. Mach es bitte

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